Logotherapie
Das griechische Wort „Logos“ hat unter anderem die Bedeutung „Sinn“. Diese Bedeutung ist gemeint in der Wortverbindung „Logo-Therapie“. Es handelt sich um eine Richtung der Psychotherapie und der Lebensberatung, die davon ausgeht, dass jeder Mensch im Grunde seines Herzens vor allem eines ist: ein „Sinn-Sucher“.
Der Begründer der Logotherapie ist der Wiener Professor für Neurologie und Psychiatrie Viktor E. Frankl (1905-1997). Er entdeckte bereits in den dreißiger Jahren, dass viele Menschen, die ihn wegen verschiedenster seelischer Leiden aufsuchten, im Grunde vor allem an einem Gefühl der Sinnlosigkeit und der inneren Leere litten. So bemühte er sich schon damals um eine „Sinnlehre gegen die Sinnleere“. Die Jahre 1942-45 musste Frankl selbst als Häftling im Konzentrationslager verbringen. Dort erfuhr er die Bestätigung: nur derjenige hatte eine Chance, das KZ zu überleben, der wusste und fühlte, wofür er überleben wollte: z.B. für einen geliebten Menschen, für eine Aufgabe, die er empfand oder für ein Ziel, das er sich gesteckt hatte.
Nun wäre es freilich verfehlt, wenn sich jemand unter Logotherapie Gespräche über philosophische oder religiöse Fragen vorstellen würde. Denn es geht weniger um die Frage nach einem „letzten“ großen Sinn der Welt und des Lebens überhaupt. Vielmehr geht es um die Bearbeitung konkreter Lebensschwierigkeiten (z.B. Partnerschaftsprobleme oder Bewältigung von Schicksalsschlägen) und psychischer Probleme (z.B. Depressionen, Ängste, Zwänge, psychosomatische Erkrankungen, Suchtprobleme). Hierbei ist die Logotherapie stärker als andere Richtungen bestrebt, in vielen kleinen Schritten das jeweils zugrunde liegende Sinnlosigkeitsgefühl zu überwinden bzw. die innere Leere gleichsam „aufzufüllen“.
Wie sieht logotherapeutische Arbeit in der Praxis aus?
Am Anfang steht – wie in jeder anderen guten Therapie auch – das einfühlende Wahrnehmen dessen, worunter der konkrete Mensch in seiner konkreten Situation leidet. Um das verstehen zu können, ist auch ein Blick auf die Leidensgeschichte wie auf die Lebensgeschichte überhaupt – unerlässlich.
Doch der Schwerpunkt der logotherapeutischen Arbeit liegt nicht im Durcharbeiten der Vergangenheit, sondern in der (Neu-) Gestaltung der Gegenwart. Die therapeutische Arbeit geschieht vor allem im partnerschaftlich geführten Gespräch, in praktischen Übungen (z.B. bei Phobien), im Rollenspiel sowie auch in der Einbeziehung der inneren Bilder (Träume und Imaginationen).
Die Logotherapie hat verschiedene Methoden entwickelt, mit deren Hilfe sie z.B. vielen Angststörungen sehr erfolgreich dadurch „zu Leibe rückt“, dass die Aufmerksamkeit auf „das Wichtigere als die Angst“ gelenkt wird. Überhaupt kommt der Regulierung der Aufmerksamkeit in der Logotherapie eine große Bedeutung zu. Nicht nur weil eine Reihe psychischer (und psychosomatischer) Störungen durch ein Zuviel an Aufmerksamkeit gleichsam am Leben gehalten werden. Sondern vor allem auch deswegen, weil ein Gefühl der inneren Leere oft ein Anzeichen dafür ist, dass weite Bereiche in einem Menschen durch ein Zuwenig an Aufmerksamkeit verkümmert sind. Das kann ein tiefer Wunsch sein, den sich jemand aus Angst vor Enttäuschung seit langem nicht mehr eingesteht. Das kann ein Wissen um eigene Stärken oder um die eigene Einzigartigkeit oder Schönheit sein, das jemand aus einer anerzogenen Bescheidenheit heraus verdrängt hat. Das können Werte sein, die jemand zwar sozusagen heimlich fühlt, aber doch aus irgendeinem Grund nicht wahrhaben will. Das kann eine nicht mehr gefühlte Lebensaufgabe sein oder ein nicht mehr gehörter „Ruf des Lebens“. Hier hat sich besonders die logotherapeutische Arbeit mit Träumen und Imaginationen als hilfreich erwiesen, um mit den verkümmerten Bereichen wieder gefühlsmäßig in Kontakt zu kommen und sie wieder aufleben zu lassen.
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